Eine verhängnisvolle Affäre

Wort zur Woche in der Mitteldeutschen Zeitung

Es ist soweit. Sie drückt die Klingel und wartet, bis sie hinter der Tür ein Geräusch hört. Dann steht er in der Tür und sieht sie verwundert an. Sie holt tief Luft, beginnt zu sprechen. Sie entschuldigt sich: Der andere Mann, alles war so aufregend und neu und hier war schon nichts mehr los. Sie hofft, dass er ihr verzeihen kann. Und er?

Er nimmt ihren Arm und zieht sie zu sich. Sie fühlt sich wieder geborgen in seiner Umarmung.

Eine schöne Geschichte. Ersetzten Sie mal „er“ durch Gott und „sie“ durch das Volk Israel und lesen noch einmal von vorn … Dann lesen Sie eine ebenso schöne und noch viel ältere Geschichte.

Das Volk Israel hatte immer wieder seine Schwierigkeiten mit Gott. Die Gebote zu drückend, die Zeit zu lang oder nicht die gewünschte Unterstützung. Irgendwas ist ja immer! Tatschlich sind die Israeliten von ihren Feinden überfallen und besiegt worden. Und obendrauf mussten sie noch ins Exil – fern der Heimat. Da endlich kommen ihnen Zweifel, ob sie Gott nicht doch hätten mehr Vertrauen schenken sollen. Oder sich wenigstens an das Gebot halten, dass es nur diesen einen Gott für sie gibt. Nun ist es zu spät.

Oder vielleicht doch nicht? Sie besinnen sich wieder auf ihren Gott, bitten ihn um Verzeihung. Und der Prophet Jeremia dar dem Volk von Gott ausrichten: „Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“(Jer 31,3)

Schon immer geliebt werden – das ist schön zu hören. Wie im Film, wenn sich die Hauptdarsteller kurz vor Ende in den Armen liegen und schluchzend feststellen, dass sie sich schon immer geliebt haben.

Gott wartet gar nicht erst bis zum Happy End, um uns seine Liebe zu gestehen. Es sind nur meist nicht die großen Gesten, nicht das neckische Heranziehen der Geliebten, um sie schwungvoll zu küssen. Es sind immer wieder kleine Gesten, kleine Grüße, kleine Augenblicke. Wir haben schon vor dem Happy End viel gemeinsame Zeit und müssen nicht bittend vor der Tür stehen.

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